Die Debatte über Bettelverbote und die Kriminalisierung von Bettler_innen ist im Zuge einer gesetzlichen Neuregelung in Tirol angekommen und beginnt auf Hochtouren zu laufen. Bevor die Denkmuster durch die ewige Wiederholung eingeprägt sind und Schlagwörter wie „Bettelmafia“ oder „organisierte Banden“ in ihrer inszenierten Bedrohlichkeit zum selbstverständlichen Argumentations-repertoire gehören, bevor sich mittels diskursiver Macht der letzte Rest an kapitalismuskritischen Sichtweisen und an der Bereitschaft zu Solidarität verflüchtigt hat, fangen wir schon mal an zu intervenieren, bevor es zu spät ist.”
Mit diesen Worten lud die Initiative Minderheiten Tirol gemeinsam mit der Bettellobby Tirol im April 2014 zu einem dreiteiligen Kunst- und Kulturprojekt nach Innsbruck ein: Einem Symposium mit Künstler_innen, Wissen-schafter_innen und Aktivist_innen (insbesondere aus Wien, der Steiermark, Salzburg und Tirol) am 5. April in der Bäckerei folgte (ebendort) ein Workshop am 6. April, der der kollektiven Ideensammlung für den abschließenden Aktionstag am 13. Juni in der Innsbrucker Innenstadt dienen sollte.
Ziel des Projektes war es, Betteln als Thema auf die Agenda kritischer künstlerisch- kreativer und politischer Netzwerke zu setzen.
Das Symposium könnt ihr am Dienstag, 29.7. und Mittwoch, 30.7. jeweils von 9 bis 11 Uhr im Rahmen einer dreiteiligen Sendereihe zum Thema “Bettelverbote” nachhören.
Wir bedauern, dass nicht alle Mitschnitte gesendet werden können: insbesondere der Beitrag von Ferdinand Koller (“Gegenargumente zum dominanten Diskurs”) ist einem technischen Defekt zum Opfer gefallen.
Als dritten und abschließenden Teil der Sendereihe bringen wir am Donnerstag, 31.7., ebenfalls von 9 bis 11 Uhr, den Mitschnitt des Runden Tisches zum Thema “Betteln verboten?!”, einer Podiumsdiskussion, die die Initiative Minderheiten Tirol im Juni im Haus der Begenung in Innsbruck organisierte.
Sendereihe: “Bettelverbote im Widerspruch: Debatten – Argumente – Interventionen”
Dienstag, 29.07.2014, 09:00 bis 10:38 Uhr
Symposium : “Bettelverbote im Widerspruch” Teil 1
Die Bäckerei – Kulturbackstube, Innsbruck, Samstag, 05.04.2014
Elisabeth Kapferer:
Armut, Öffentlichkeit und öffentliches Armutswissen
Armut in Österreich ist Thema. Die Armutsdebatte wird öffentlich und vielfältig geführt – oft erbittert, selten sachlich. Wenn mit Interventionen auf die Debatten reagiert werden will, verdient nicht nur das „Was“ der entsprechenden Äußerungen und herrschenden Bilder, sondern auch das „Woher“ und „Wohin“ Aufmerksamkeit. Um was für eine Art Wissen handelt es sich bei „öffentlichem Armutswissen“ und um wessen Wissen geht es dabei? Vor allem aber: Aus welcher Perspektive kommt es und was können Hintergründe sein? Und was sind schließlich die Konsequenzen solchen Wissens und seiner Äußerungen und somit mögliche Andockpunkte für Intervention?
Elisabeth Kapferer ist Poltitologin und Germanistin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg – ZEA. Koordinatorin der Initiative „Hunger auf Kunst & Kultur“ in Tirol.
anschließend: Stefan Benedik:
Von der „Verletzung kultureller Gefühle“ bis zum „Schandfleck, der ausradiert gehört“. Konstruktionen von Bettler_innen als Bedrohung in österreichischen Medien
Seit 25 Jahren sind auch im öffentlichen Raum österreichischer Städte Menschen präsent, die als transnationale Arbeitsmigrant_innen bezeichnet werden können. Obwohl die sozialen Praktiken von Betteln, Straßenmusik, Straßenzeitungsverkauf etc. kaum Konfliktpotential gezeigt haben, gerieten sie in den Medien häufig zu äußerst kontroversiell diskutierten Themen. Benedik stellt exemplarisch einige jener Diskursfiguren und Bilder vor, die in den öffentlichen Diskussionen am weitesten verbreitet sind und arbeitet dabei auch die Vorstellungen von „Kultur“ und Geschlechterrollen heraus. Abschließend wird auch das Engagement von Organisationen, die für die Betroffenen intervenieren, im Verlauf und Charakter dieser Auseinandersetzungen analysiert.
Stefan Benedik ist Historiker und Kulturwissenschafter, Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Fachbereich Zeitgeschichte/Geschlechtergeschichte, Uni Graz.
Mittwoch, 30.07.2014, 09:00 bis 10:52 Uhr
Symposium : “Bettelverbote im Widerspruch” Teil 2
Die Bäckerei – Kulturbackstube, Innsbruck, Samstag, 05.04.2014
Barbara Weichselbaum:
Landesrechtliche Bettelverbote und die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat sich im Jahr 2012 in mehreren Entscheidungen mit der Frage der Zulässigkeit des Bettelns beschäftigt. Kernaussagen sind, dass „stilles Betteln“ erlaubt ist und die Regelung von Bettelverboten in die Kompetenz der Länder („örtliche Sicherheitspolizei“) fällt. Bettelverbote sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt.
Weichselbaum greift auch Fragen auf, die der VfGH in seinen Entscheidungen unbeantwortet gelassen hat, wie etwa die Auslegung des Begriffs „organisiertes Betteln“ oder ob das Erschweren der Benützung eines öffentlichen Ortes für andere Personen durch Bettler_innen tatsächlich die Form eines „Missstandes“ annehmen kann, der der Landeskompetenz „örtliche Sicherheitspolizei“ zuordenbar ist.
Barbara Weichselbaum ist Assistenzprofessorin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte
anschließend: Podiumsgespräch mit Aktivist_innen aus Österreich
In den letzten Jahren gibt es in Österreich vermehrt Widerstand gegen die Kriminalisierung von bettelnden Menschen. Solidarität und Protest nehmen dabei vielfältige Formen an und hinterlassen kontroverse Spuren. Im Mittelpunkt des Podiumsgesprächs mit Aktivist_innen aus Österreich stehen Fragen nach Möglichkeiten, Erfolgen und Grenzen von Interventionen durch Reflexion praktischer Erfahrungen. Handlungsperspektiven und Vernetzungen werden dabei ebenso thematisiert wie Widersprüche und Rückschläge. Was sollen und können Interventionen bewirken, wo setzen sie an, worauf zielen sie ab? Und welche Strategien werden angewendet?
es diskutieren: Nora Musenbichler (Graz), Hans-Peter Graß und Desirée Summerer (Salzburg), Marion Thuswald und Ferdinand Koller (Wien), Ricarda Kössl und Elisabeth Hussl (Innsbruck). Moderation: Philipp Sperner (Innsbruck).
Donnerstag, 31.07.2014, 09:00 bis 11:00 Uhr
Runder Tisch: Betteln verboten?!
Haus der Begenung, Innsbruck, Dienstag, 03.06.2014
Seit Jahresbeginn ist in Tirol „stilles Betteln“ erlaubt. Seit Monaten findet eine intensiv geführte Debatte über Betteln und bettelnde Menschen statt – ein Thema, das Öffentlichkeit und Politik bewegt. Anliegen dieses „Runden Tisches“ ist es, zur Meinungsbildung und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit bettelnden Menschen beizutragen. Da es eine große Bandbreite von verschiedenen Standpunkten und Zugängen in dieser Debatte gibt, wurden VertreterInnen aus Politik, Polizei, Sozialer Arbeit und dem kirchlichen Kontext eingeladen.
Im ersten Teil des „Runden Tisches“ sind alle DiskussionsteilnehmerInnen zu einer kurzen Stellungnahme eingeladen, im zweiten Teil wird auch das Publikum in die Diskussion eingebunden.
Moderation: Benedikt Sauer (Journalist und Buchautor)
Es diskutieren: LRin Christine Baur (Landesrätin für Soziales), Jakob Wolf (Klubobmann der Tiroler ÖVP), Martin Kirchler (Stadtpolizeikommandant), Elmar Rizzoli (Amt für Sicherheit, Stadt Innsbruck), Georg Schärmer (Direktor der Caritas Innsbruck), GR Kurt Wallasch (Für Innsbruck – Gemeinderat in Innsbruck), GR Angela Eberl (SPÖ – Gemeinderätin in Innsbruck), Michael Hennermann (Geschäftsführer Verein für Obdachlose), Elisabeth Hussl (Bettellobby Tirol).
Die gesamte Sendereihe zum Nachhören: hier
Initiative Minderheiten Tirol
Jahnstraße 17, 6020 Innsbruck
www.minorities.at
Bettellobby Tirol
c/o Initiative Minderheiten Tirol
Jahnstraße 17, 6020 Innsbruck
bettellobby-tirol@gmx.at