„Wie der schlanke, abgemagerte Körper zum sozialen Spektakel wird, hat uns Franz Kafka in seiner Kurzgeschichte ’Ein Hungerkünstler‘[1] überliefert. Es handelt sich dabei um eine Form bezahlter Unterhaltung, die um die Wende vom 19. zum 20. Jhdt. in Europa im Rahmen karnevalesker Veranstaltungen populär geworden ist. In einem mit Stroh austaffiertem Käfig fastet der männliche Hungerkünstler bei Kafka für 40 Tage und Nächte; er wird von Metzgern bewacht, die darauf achten, daß er keine Nahrung zu sich nimmt und er wird von der neugierigen Menschenmenge beobachtet; zuzeiten streckt der Hungerkünstler einen Arm durch die Gitterstäbe des Käfigs, um einzelne Besucher fühlen zu lassen, wie mager er ist.
Um nicht zu sehr auf Details dieser Geschichte einzugehen, sei nur darauf hingewiesen, daß Warin versucht, Parallelen zu ziehen zwischen einem solchen karnevalesken Spektakel von Hungerkünstlern und den modernen und zeitgenössischen Erfahrungen und Faszinationen rund um die Anorexie. Trotz der offensichtlichen Differenzen mit Blick auf Gender, Raum und historische Epoche, zeigen sich hier Ähnlichkeiten hinsichtlich der Inszenierung und visuellen Konsumtion abgemagerter Körper in einem öffentlichen Spektakel. Es ist eben die Zur-Schau-Stellung des abgemagerten Körpers, die im öffentlichen Spektrum Faszination und Schrecken auf sich zieht. Die farbigen Fotografien von abgemagerten, halbnackten Frauen oder Mädchen in Hochglanzmagazinen spielen mit dieser Ambivalenz aus erotischem Anreiz und purem Schock. Indem Stellvertreter der Medienwelt, wie Reporter oder Fotografen, sich einzig auf das visuelle Spektakel der Anorexie konzentrieren, wird der weibliche Körper positioniert und reproduziert als ein öffentlicher, zu begutachtender, zu bewertender und abzuschätzender Körper, der in stete Sichtbarkeit gedrängt wird. Es ist, als würde man anorektische Frauen dazu verurteilen, in dieser perennierenden Sichtbarkeit zu leben; zugleich aber so, als würden sie es zuzeiten selbst als Pflicht ansehen, ihren Körper öffentlich sichtbar und für ein bewertendes Publikum visuell konsumierbar zu machen.
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