Wenn ich mich aus der Perspektive einer langjährigen im Frauenhaus Tirol tätigen Mitarbeiterin und Leiterin an das Thema „Wohnen“ annähere, dann beginnt meine gedankliche Reise zunächst mit der traurigen Tatsache, dass die vielzitierten „eigenen vier Wände“ oder das sogenannte „traute Heim“ in Bezug auf eine mögliche Risikolage auch der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder ist. An keinem anderen Ort werden Frauen und Kinder so viel verletzt und getötet, wie an diesem. Es hat lange gedauert, bis diese Gewaltformen an Frauen und Kindern geschichtlich gesehen zum Straftatbestand wurden. Nur zur Erinnerung: Vergewaltigung in der Ehe wurde beispielsweise erst im Jahre 1989 strafbar.
Gewalt fällt bekanntlich nicht einfach so vom Himmel, sondern ist immer auch ein Ausdruck dafür, wie eine Gesellschaft das Verhältnis zu Frauen und Kindern gestaltet. Ohne Geschlechtergerechtigkeit und dem Abbau von Abhängigkeitsverhältnissen gibt es nämlich keine Gewaltfreiheit. Wohnen bedeutet also immer auch „potenzielle Gefahr in den eigenen vier Wänden“. Während ich diesen Artikel schreibe, ist „Gewalt an Frauen“ immer wieder Thema; in allen Medien. Journalist*innen melden sich mit der Frage, ob Gewalt gegen Frauen und Kinder durch die „Corona-Krise“ verstärkt wurde? Ja, es sind Ansätze dafür erkennbar, wenngleich es zum derzeitigen Zeitpunkt für eindeutige Rückschlüsse noch viel zu früh ist. Klar ist, dass es vor Corona schon Gewalt gegeben hat und dass diese auch nach Überwindung der Corona Krise leider nicht enden wird. Ausnahmesituationen, wie wir sie derzeit erleben, erfordern sehr viel Achtsamkeit, Empathie und Stärkung jener, die in unserer Gesellschaft mit weniger Ressourcen ausgestattet, krank, alt oder in verschiedenster Weise abhängig sind. Darin enthalten ist die Chance, dass wir uns wieder mehr auf ein solidarisches Miteinander beziehen. Darin enthalten ist aber auch die Gefahr, dass sich bereits vorhandene Unterdrückungs-verhältnisse und Gewaltdynamiken verschärfen und sich damit auch das Risiko, Gewalt zu erleben, erhöht – womit wir wieder bei der Dringlichkeit einer gerechteren Ressourcenverteilung angelangt sind. Ein „gutes Leben für alle“ setzt Solidarität, Gerechtigkeit, Würde und Empathie voraus. Wir sitzen nämlich eben nicht alle „im selben Boot“, auch wenn das gerade in Krisenzeiten regelmäßig behauptet wird.
Zimmer mit Aussicht
Doch sprechen wir doch endlich auch einmal über die Zuversicht, die in einem ganz neuen Haus wohnt: Was wäre naheliegender, wenn wir von Zuversicht sprechen, als von unserem neuen Frauenhaus zu reden. In diesem langen Verhandlungsprozess um ein „neues Haus“ wird es besonders spürbar, dass Zuversicht „rebellische Ressource“ sein kann, auch wenn es sich über lange Strecken ganz und gar nicht so angefühlt hat. Wir haben nicht aufgegeben wieder und wieder zu fordern, dass Tirol ein neues Frauenhaus braucht; Achtzehn Jahre lang. Im September 2019 war es dann soweit. Viele Menschen haben uns auf diesem Weg begleitet und haben sich mit uns stark gemacht. Alleine waren wir nicht. Und das fühlt sich wirklich gut an.
Dieser Weg führte uns in ein neues Frauenhaus, das doppelt so viel Platz bietet wie das alte Haus, das endlich durchgängig barrierefrei ist, das endlich Rahmenbedingungen bereitstellt, in denen Frauen und Kinder, die von Gewalt bedroht und betroffen sind vielschichtig und bestmöglich beraten und begleitet werden können. Es ist zu einem sicheren Wohnraum geworden, der von Wertschätzung spricht und lebt.
Leistbares Wohnen als Grundrecht
Blicken wir abschließend noch gemeinsam auf die Situation nach dem Frauenhausaufenthalt. Dass leistbares Wohnen ein zentrales Grundrecht, eine wichtige Voraussetzung für Teilhabe in der Gesellschaft und damit auch wesentliche Grundlage für ein existenziell abgesichertes Leben in einem gewaltfreien Kontext sein kann, ist, denke ich, inhaltlich nachvollziehbar. In der Praxis zeigt sich jedoch, wie schwierig es ist, leistbaren Wohnraum zu finden ist. Die Versorgung der Menschen mit ausreichend leistbarem Wohnraum zählt daher zu den wichtigsten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Es ist kein Geheimnis, dass einkommensschwache Menschen – und dazu gehören sehr oft Alleinerzieherinnen – oft mehr als ein Viertel ihres verfügbaren Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Es bleibt demnach eine zentrale Forderung an die Politik, diesen leistbaren Wohnraum endlich ausreichend zur Verfügung zu stellen. Und damit bin ich abschließend wieder bei der Frage der gerechten Ressourcenverteilung angelangt. Das Angebot von leistbarem Wohnraum ist daher auch ein Beitrag zur Gewaltprävention. Abschließen möchte ich mit einem Gedanken von dem kürzlich verstorbenen Direktor des Architekturzentrums Wien Dietmar Steiner. Ich habe zufällig einen Bericht über ihn im Radio gehört. Er war der Überzeugung, dass Architektur „ein Lebensmittel“ ist und war ein Verfechter davon, dass es nicht um das „leistbare Wohnen“ gehen sollte, sondern um „leistbare Löhne“.
Gabi Plattner ist Leiterin des Frauenhaus Tirol
Ihr Text ist in der FREIRAD Programmzeitung 2020/03 erschienen und kann herunter geladen werden.